Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.01.2025
Worum ging es in dem Fall?
Ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie hatte am 31. August 2020 einem Sterbewilligen beim Suizid assistiert. Der Suizident litt an einer akuten paranoiden Schizophrenie sowie an einer mittelgradigen depressiven Episode und befand sich laut Landgericht (LG) Essen hierdurch in einer seine freie Willensbildung ausschließenden Lage. Die Richter waren der Meinung, dass der gegenüber dem Angeklagten geäußerte Suizidwunsch des Sterbewilligen wesentlich auf einer krankheitsbedingten, nicht realistisch begründeten Annahme basierte, wonach er unter einer zunehmenden Sehstörung litt und es zudem für seine psychische Beschwerdesymptomatik keine Besserungsaussichten mehr gab. Im Urteil des Landgerichts Essen vom 1. Februar 2024 wurde der suizidassistierende Arzt Dr. Spittler zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen Totschlags (in mittelbarer Täterschaft) verurteilt.
Daraufhin stellte der Angeklagte einen Antrag auf Revision gegen das Urteil des LG Essen.
Wie hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden?
Laut BGH gibt es keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach ein Mensch mit psychischem Erkrankungsbild generell nicht in der Lage ist, die Tragweite seiner Entscheidung im Hinblick auf einen begleiteten Suizid zu erkennen. Aus diesem Grund müssen immer ganz spezielle Umstände festgestellt werden, die die Freiverantwortlichkeit ausschließen. Die Karlsruher Richter waren in diesem Fall jedoch davon überzeugt, dass dem Angeklagten alle maßgeblichen Umstände – insbesondere das aus der psychischen Störung des Suizidenten resultierenden Verantwortungsgefälles zwischen diesem und sich selbst – bekannt waren. Daraus resultierte laut BGH ein eigenes Tatinteresse, noch dazu, weil der Angeklagte keine ärztliche Zweitmeinung einholte und die Entscheidung über die Durchführung der Tat nicht aus der Hand geben wollte. Der Arzt bestätigte außerdem, dass er nicht mit einer Bestätigung seiner Stellungnahme rechnete.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat somit die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen verworfen. Laut dem Beschluss des BGH leistete der Angeklagte dem Geschädigten am 31. August 2020 Suizidhilfe, obwohl er wusste, dass dessen Selbsttötungsentscheidung durch eine akute psychische Erkrankung krankheitswertig beeinträchtigt und daher nicht freiverantwortlich war. Das Urteil ist damit rechtskräftig.




